Zahlreiche Landesverbände der Alternative für Deutschland (AfD) wollen sich der Hamburger Fraktion mit ihrer Aktion „Neutrale Schulen“ anschließen. Nahezu bundesweit sollen Schüler*innen und Eltern künftig Lehrkräfte auf einer Website melden können, die das Neutralitätsgebot vermeintlich verletzen. Entsprechende Meldungen will die AfD von der Schulbehörde als „Neutralitätsverstöße“ überprüfen lassen, damit „ggf. disziplinarische oder arbeits-rechtliche Maßnahmen“ gegen Lehrkräfte ergriffen werden können. 

Damit missbraucht die AfD die Grundsätze des 1976 vereinbarten und von allen politischen Bildner*innen geteilten Beutelsbacher Konsenses. Dessen Grundsätze fordern die sachliche Auseinandersetzung mit den in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit vertretenen Positionen. Weder das dort verankerte Kontroversitätsgebot noch das gleichrangig zu behandelnde Überwältigungsverbot begründen eine „Neutralität“ oder gar Toleranz gegenüber demokratieverachtenden Parolen oder menschenfeindlichen Äußerungen. 

Im Gegenteil: Kontroverse Positionen können nur so lange als gleichberechtigte Stimmen im demokratischen Diskurs anerkannt werden, wie sie mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) in Einklang stehen, auf deren ‚Grenzen’ sich auch die AfD beruft. Verletzen Positionen hingegen demokratische Grundwerte, so dürfen und sollen sie von Lehrkräften als antidemokratische Haltungen kritisiert werden. Lehrer*innen sind verpflichtet, Stimmen und Stimmungen im Unterricht nicht unwidersprochen zu lassen, die sich gegen zentrale Grundrechts-artikel wie Artikel 1 Absatz 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“) und Artikel 3 Absatz 1 („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“) oder gegen zentrale Verfassungsprinzipien wie das Rechtsstaatsgebot oder die Gewaltenteilung (Art. 20 GG) richten. 

Wer etwa den Einsatz von Schusswaffen gegen Geflüchtete an der Grenze erwägt (von Storch), das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet (Höcke), die in Deutschland lebenden Türk*innen als „Kameltreiber“ diffamiert (Poggenburg) oder die einstige Integrationsbeauftrage, Aydan Özoguz, „in Anatolien entsorgen will“ (Gauland), bewegt sich nicht mehr auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wer Alexander Gaulands Bemerkung, die zwölf Jahre Nazizeit seien nur ein „Vogelschiss“ in der 1.000-jährigen Geschichte Deutschlands, unwidersprochen lässt, bahnt völlig abwegigen Geschichtsdeutungen den Weg. Auch wenn AfD-Politiker und -Politikerinnen den Mord an sechs Millionen Juden und Jüdinnen sowie 50 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg relativieren, müssen Lehrkräfte dem im Unterricht widersprechen. 

Die Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE), die Deutsche Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) und die Sektion Politikwissenschaft und Politische Bildung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) verurteilen das Vorgehen der AfD als zutiefst undemokratisch. Wer – wie die Hamburgische AfD-Fraktion – zu Meldungen aufruft, die anonym erstattet werden können, hat kein aufrichtiges Interesse an Klärung, sondern will Lehrkräfte, die eine AfD-kritische Haltung artikulieren, einschüchtern und mundtot machen. Zugleich verbreitet die AfD-Fraktion Hamburg eine unhaltbare Fehlinterpretation des Grundkonsenses der politischen Bildung. 

GPJE, DVPB und DVPW-Sektion fordern ihre Mitglieder und alle Lehrerinnen und Lehrer dazu auf, sich von der politischen Rhetorik der AfD nicht blenden und einschüchtern zu lassen. Solange Lehrkräfte andere Positionen im Unterricht zulassen, dürfen sie weiterhin ihre eigene Position artikulieren. So hat auch die Bremer Landesregierung – nachdem die AfD dort eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Lehrer eingereicht hatte – festgestellt: „Lehrer dürfen Mitteilungen von Parteien kritisch zerpflücken, historisch Parallelen ziehen und sie in einen Kontext stellen.“ Als demokratische Lehrer*innen sind sie darüber hinaus dazu verpflichtet, gegen antipluralistische, diskriminierende und geschichtsrevisionistische Tendenzen einzutreten. 

Um Schülerinnen und Schüler über solche der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zuwiderlaufende Haltungen aufzuklären, ihnen demokratische Werte zu vermitteln und ihre politische Urteilsfähigkeit, Widerstandskraft und Zivilcourage gerade im Umgang mit aktuellen antidemokratischen Tendenzen in der Gesellschaft zu stärken, brauchen wir mehr Unterrichtszeit für politische Bildung an Schulen sowie entsprechend qualifizierte Fachlehrkräfte. Erforderlich ist zudem eine nachhaltig verbesserte Ausstattung der Institutionen und Träger außerschulischer politischer Bildung in Deutschland. Darüber hinaus bedarf es gut ausgestatteter Professuren für politische Bildung, welche die Gelingensbedingungen demokratischer politischer Bildung erforschen, konzeptionell begründen und die Lehrkräfte auf ihre anspruchsvolle Aufgabe vorbereiten. 

Prof. Dr. Monika Oberle 

Sprecherin der GPJE 

Prof. Dr. Dirk Lange

Bundesvorsitzender DVPB 

Prof. Dr. Andrea Szukala

Sprecherin DVPW-Sektion 

Politikwissenschaft und Politische Bildung 

Die Erklärung als Download: Stellungnahme GPJE_DVPB_DVPW-Sektion