Wie wichtig ist der CDU und der FDP in NRW die Demokratiekompetenz? 

In den ersten Pressemeldungen zu den Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU und der FDP wurde bekannt gegeben, dass ein Unterrichtsfach „Wirtschaft“ an allen allgemeinbildenden Schulen des Landes eingeführt werden soll. Die politisch-gesellschaftliche Bildung findet in den Koalitionsverhandlungen bislang anscheinend keine besondere Erwähnung. Ist die Demokratiekompetenz der nächsten Generation der CDU und der FDP kein Wort wert?

Heranwachsende und Lehrkräfte stehen vor enormen Herausforderungen, die der rasante Wandel der heutigen pluralistischen, demokratischen Gesellschaften mit sich bringt. Wirtschaftliche und soziale Globalisierung, Digitalisierung, Pluralisierung der Lebensweisen, politische Steuerungsverluste sowie neue soziale, ökonomische und ökologische Unsicherheiten und Ungleichheiten sind nur einige dieser Herausforderungen. Sie müssen in der Schule breit thematisiert und mit den Schülerinnen und Schülern bearbeitet und als gestaltbare Prozesse greifbar gemacht werden. Der Verlust politischen und gesellschaftlichen Wirksamkeitsempfindens bei der jungen Generation stellt eine massive Bedrohung unserer Demokratie dar, der nur durch eine wertebasierte demokratische Bildung entgegengewirkt werden kann. Wir verstehen diesen Bildungsauftrag als erstrangige Form der Prävention gegenüber Entfremdungserscheinungen wie politischer Extremismus und soziale Verrohung.

Wie viel Lernzeit wollen CDU und FDP den jungen Menschen zukünftig für die Auseinandersetzung mit diesen neueren gesellschaftlichen Entwicklungen geben? Ein zusätzliches Unterrichtsfach „Wirtschaft“ ist dafür zweifellos nicht geeignet, da es die wirtschaftlichen Aspekte von den sozialen und politischen isoliert betrachtet. Die ganzheitliche Sichtweise auf komplexe sozioökonomische Probleme und Herausforderungen der heutigen globalisierten Marktwirtschaften würde den nordrhein-westfälischen Lernern und Lernerinnen damit in Zukunft verwehrt.

Der bestehende Ansatz der sozialwissenschaftlichen integrativen Bildung, in der die wirtschaftliche Bildung selbstverständlich integriert stattfindet, ist seit Jahrzehnten ein nordrhein-westfälisches Erfolgsmodell. Während in erfolgreichen Schulsystemen Schulfächer zugunsten fächerintegrierten Lernens zusammengelegt oder aufgehoben werden, soll nun in NRW ohne Not ein Rückschritt in eine verengte und altertümliche Fächerstruktur erfolgen, die sich nicht bewährt hat. Ein besonderes Interesse hat die deutsche Gesellschaft, auch und vor allem die Wirtschaft, an der Integration der Neueingewanderten. Hier stellt sich die wichtige Frage: Wie viel Lernzeit gibt die Koalition zukünftig den Schülerinnen und Schülern, die aus autoritär regierten Staaten nach Deutschland kommen, um sich mit der deutschen Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft vertraut zu machen?

Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen in NRW brauchen Zeit und Ruhe, um fachlich und pädagogisch guten Unterricht zu gestalten und weiter entwickeln zu können. Mit der Einführung eines Unterrichtsfachs „Wirtschaft“ und dem hierdurch notwendig werdenden Umbau der Stundentafeln wird den Schulen in NRW eine sachlich unnötige Schulreform aufgenötigt. Dies wird erneut Unruhe in die Schulen bringen. Die Leidtragenden sind am Ende Schülerinnen und Schüler, denen für ihre wichtigen Fragen an die heutige deutsche Demokratie und Gesellschaft kein Raum mehr gegeben werden kann.

Die DVPB NW fordert daher den vollen Erhalt einer gesellschaftlichen Bildung, die eine ökonomische Bildung in die sozialwissenschaftlichen Fächer integriert. Sie fordert den Ausbau politischer und sozialer Inhalte in den Curricula. Eine Studie der Universität Bielefeld belegt, dass schon heute der ökonomische Anteil in den vorliegenden Bildungsplänen deutlich dominiert. Soziale Themen sind in den Curricula bereits an den Rand gedrängt.

Duisburg, den 7. Juni 2017 

Der geschäftsführende Vorstand der DVPB NW

Prof. Dr. Bettina Zurstrassen (Vorsitzende des Landesverbands NRW)

Prof. Dr. Andrea Szukala (Stellv. Vorsitzende des Landesverbands NRW)

Ulrich Krüger (Stellv. Vorsitzender des Landesverbands NRW)

 

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Studie: 17 Minuten Politik, 20 Sekunden Redezeit: https://pub.uni-bielefeld.de/person/79448

Wirtschaftswissenschaften in die Schule? https://pub.uni-bielefeld.de/publication/2905248