Aufgabe:

  1. Erläutern Sie Zusammensetzung, Bedeutung und wesentliche Aufgaben (Kompetenzen) der EU-Organe im „institutionellen Dreieck“ der EU.
  2. Analysieren Sie den Text im Hinblick auf die Position des Autors zur politischen Lage der Europäischen Union.
  3. Erörtern Sie – jenseits der Argumente im Text –, inwieweit ein Demokratiedefizit in der EU vorliegt und entwickeln Sie Vorschläge, wie durch mehr Bürgerbeteiligung dem wachsenden Populismus in Europa begegnet werden kann. Nehmen Sie anschließend Stellung zur Position des Autors.

Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-05/europaparlament-eu-paradoxie/komplettansicht (zuletzt zugegriffen am 15.10.2017)

Text:

Die Selbstlähmung der europäischen Politik.

Von Thomas König. DIE ZEIT vom 4. Mai 2014

Seit Jahren werden mehr Rechte für das Europäische Parlament eingeklagt, um den Beschlüssen der Europäischen Union eine höhere demokratische Legitimation zu verschaffen. Vom deutschen Philosophen Jürgen Habermas bis hin zum britischen Politikwissenschaftler Simon Hix – alle sind sich einig: Ohne ein starkes Europäisches Parlament, das den Bürgern (partei)politische Alternativen für die Richtung der europäischen Integration anbietet, für mehr oder weniger oder ein anderes Europa, leidet die EU unter einem Demokratie-Defizit. Spätestens seit […] dem Maastrichter Vertrag, der zentrale nationale Kompetenzen auf die Ebene der EU verlagerte, erscheint eine Parlamentarisierung der Gemeinschaft geboten. Wenn schon die Bürger die Verantwortlichen in Kommission und Rat nicht direkt erreichen können, dann sollten sie zumindest die Abgeordneten eines gleichberechtigten Europäischen Parlaments wählen dürfen.

Vom 22. bis 25. Mai können die Bürger ihre Abgeordneten im Brüsseler und Straßburger Parlament neu bestimmen, dessen Machtbefugnisse durch den Lissabonner Vertrag vom Dezember 2009 erheblich gestärkt wurden: Um der Kommissionsspitze ein gewähltes Gesicht mit einer (partei)politischen Ausrichtung zu geben, soll sich die anschließende Wahl des Kommissionspräsidenten an das parlamentarische Wahlergebnis anlehnen. Martin Schulz und Jean-Claude Junckerbewerben sich als Vertreter der beiden großen Fraktionen, der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) und der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), um die Leitung der europäischen Exekutive.

Allerdings zeichnet sich ab, dass nicht die beiden großen Parteigruppen, sondern die populistischen Parteien am linken und rechten Rand des Spektrums deutlich gewinnen werden. Wird also Marine Le Pen vom französischen Front National bald der Kommission vorstehen und die künftige Politik der EU vorgeben, in Richtung Renationalisierung? Hat sogar Bernd Lucke von der Alternative für Deutschland Chancen, in Zukunft ein gewichtiges Wort in Europa mitzureden? Wohl kaum. Denn obwohl sich die rechts- wie linkspopulistischen Parteien einig sind in der Ablehnung der EU, zumindest in der jetzigen Form, dürfte ihre Uneinigkeit dazu führen, dass weder eine linke Mehrheit einen supranationalen Wohlfahrtsstaat aufbauen noch eine rechte Mehrheit die Brüsseler Regelungsaktivitäten abbauen wird. Vielmehr werden die beiden großen Fraktionen voraussichtlich wieder eine informelle große Koalition bilden und in einem Kuhhandel mit den Regierungschefs im Europäischen Rat vereinbaren, wer neuer Kommissionspräsidenten wird. Viel bedeutsamer als diese Wahl dürfte allerdings für die Zukunft der EU sein, dass in in einem solchen großen Deal politische Richtungsänderungen wie fast immer bei solchen Bündnissen eher ausgeschlossen sind. Es ist damit zu rechnen, dass die EU weder den höheren Wohlfahrtsansprüchen nachkommen noch sich selber in ihren Regelungsbemühungen bescheiden wird. Das wird jedoch weder die Popularität der extremen Parteien verringern noch die Akzeptanz der EU-Beschlüsse erhöhen.

Eine große Koalition dürfte also weder aus Sicht der Bürger das geeignete Rezept gegen ihren wachsenden Unmut über die Politik der EU sein noch dem Europäischen Parlament helfen, eine neue Richtung  gegenüber Kommission und Rat durchzusetzen. Wenn aber auch das Parlament, das wie nie zuvor mit Machtbefugnissen ausgestattet ist, keine Alternativen anbietet und der Verdruss in den Bevölkerungen dadurch sogar noch zunimmt, dann könnte die Parlamentarisierung paradoxerweise zur Schwächung der EU beitragen und die Diskussion über das demokratische Defizit und eine Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene erneut entfachen. Erste Anzeichen hierfür finden sich bereits in der sinkenden öffentlichen Unterstützung der EU. Allein von November 2009 bis Juni 2010 ist sie von 69 auf 49 Prozent in allen Mitgliedstaaten gesunken. Ein weiterer Gradmesser ist die Beteiligung an den Europawahlen, die sich seit der ersten Direktwahl 1979 von 63 Prozent auf zuletzt 43 Prozent 2009 verringerte und noch weiter sinken könnte. Folgen hat das nicht nur für die europäische Ebene. Schon jetzt schlägt sich der wachsende Widerstand gegen die Brüsseler Politik in den nationalen Parteiensystemen nieder. Populistische, EU-skeptische bis europafeindliche Parteien haben in vielen Mitgliedsländern Zulauf, während die eher moderaten (Regierungs)Parteien für eine weitere europäische Integration eintreten. Je bedeutsamer diese Frage wird, desto höher ist auch auf nationaler Ebene die Wahrscheinlichkeit großer Koalitionen, was wiederum die Ränder stärkt.

So könnte die Parlamentarisierung der EU indirekt nicht nur zu ihrer Schwächung führen, sondern auch auf nationaler Ebene Richtungsänderungen verhindern, wenn auch dort immer mehr große Koalitionen regieren. Das dürfte weder den Kritikern eines demokratischen Defizits noch den parlamentarischen Repräsentanten in Europa gefallen. Ein Ausweg zeichnet sich im Moment allerdings nicht ab.

 

** Klausur und EWH: Klausur_EU-Demokratiedefizit-Populismus_Gk