Thema der Klausur: Öffentliche Güter in der Marktwirtschaft
Aufgabenstellung:
- Analysiere den vorliegenden Artikel, indem du die Fragestellung, mit der sich die Wissenschaftlerin Rockenbach beschäftigt hat, ihre Kernaussage und Argumentations-struktur herausarbeitest. (22 Punkte)
- Beschreibe, was man unter einem öffentlichen Gut versteht und stelle die Problematik öffentlicher Güter in einer Marktwirtschaft mithilfe eines Beispiels dar (ein reales Beispiel – kein Experiment). (18 Punkte)
- Beziehe begründet zu folgendem Zitat Position: „Lebewesen tun nichts, was nicht ihnen und ihren Genen zugute kommt.“ (Z. 2-3) Bringe auch Beispiele aus deinem Erfahrungsbereich mit ein. (10 Punkte)
Textgrundlage: Anhäuser, Marcus: Strafe muss sein. In: Süddeutsche Zeitung vom 20.04.2006.
Text:
Strafe muss sein
Die Art, wie Menschen kooperieren, stellt Verhaltensforscher immer wieder vor Probleme. Gilt doch eigentlich ihr soziobiologisches Mantra [= Leitspruch]: „Lebewesen tun nichts, was nicht ihnen und ihren Genen zugute kommt.“ So lassen sich tatsächlich viele Kooperationen im Tierreich erklären, wo die Hilfe Verwandten gilt, aber beim Menschen „kommt man mit gängigen Konzepten der Soziobiologie nicht weiter“, sagt Ernst Fehr, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Zürich.
[…] Um zu erklären, wie es zu kooperativem Verhalten bei Menschen kommt, haben Bettina Rockenbach, ihr Mitarbeiter Özgür Gürerk und Bernd Irlenbusch von der London School of Economics ein Computerspiel entworfen. Darin konnten die Teilnehmer einer Gemeinschaft, sämtlich Studenten, in jeder Runde neu entscheiden, wie viel von ihrem Kapital sie der Gemeinschaft zur Verfügung stellen wollten. Dieser Topf warf satte Zinsen von 60 Prozent ab, wurde dann aber auf alle Mitglieder der Gemeinschaft verteilt, egal wie viel sie beigetragen hatten.
Von diesen Gemeinschaften gab es zwei Varianten, zwischen denen sich die Teilnehmer jede Runde aufs Neue entscheiden konnten: eine mit und eine ohne die Möglichkeit, Trittbrettfahrer zu bestrafen. Allerdings: „Jede Sanktion kostete den Spieler sein eigenes Geld“, sagt Rockenbach. Wer eine Geldeinheit bezahlte, konnte damit den anderen um drei Geldeinheiten ärmer machen; der Betrag verfiel dann. „Wir haben den Teilnehmern eine Alternative geboten, um zu sehen, welche Gemeinschaft sie wählen würden“, sagt Rockenbach.
Die Tragödie des Gemeinguts
Zunächst verhielten sich die meisten Studenten ganz wie junge Revoluzzer oder die Hippies der späten 60er-Jahre, die an das Ideal der freien Gesellschaft glaubten, in der sich das Gute von allein durchsetzt. Fast zwei Drittel wählten die sanktionsfreie Spielwelt. Das verbleibende Drittel glaubte eher an die Kraft von Belohnung und Bestrafung, um Kooperation durchzusetzen.
Dann nahm die Tragödie des Gemeinguts ihren Lauf. In der „freien Welt“ setzten sich schnell die Trittbrettfahrer durch. Statt Geld für das Gemeinwohl zu spenden, schöpften sie nur ab und füllten die eigenen Taschen. In der bestrafenden Welt etablierte sich dagegen das kooperative System. Da die Spieler erfuhren, was in der jeweils anderen Gemeinschaft passierte, entvölkerte sich die „freie Welt“, bis niemand mehr dort war. „Die Welt von Belohnung und Bestrafung war der unbestrittene Sieger“, sagt Rockenbach.
Die genaue Analyse offenbarte, warum sich im sanktionierenden System Kooperation etablierte. Es gab Spieler, die sich aufopferungsvoll für das Gemeinwohl einsetzten. „Wir nennen solche Personen, strong reciprocater‘“, sagt Rockenbach. Diese starken Vergelter belohnten und bestraften, auch wenn sie Verluste erlitten. „Wir nennen das altruistisches [= uneigennütziges] Bestrafen. Es gibt inzwischen Studien, die zeigen, dass es ein wichtiges Element ist, um Kooperation zu etablieren und aufrecht zu erhalten“, sagt Rockenbach.
Auch Ernst Fehr ist überzeugt, dass altruistisches Bestrafen ein Schlüssel für soziale Ordnung und Kooperation ist: „Man könnte es sogar den Zement der Gesellschaft nennen.“ Die Möglichkeit, Egoisten zu bestrafen, scheint große Anziehungskraft zu haben, obwohl es aus Sicht der Gewinnmaximierung höchstens in ferner Zukunft etwas einbringt. So erlebten die Forscher um Bettina Rockenbach manch wundersame Wandlung: Studenten, die im freien System noch als Schmarotzer das Gemeinwohl ausgenutzt hatten, fingen nach dem Wechsel an, Abweichler abzustrafen. Ganz nach dem Motto: „Wenn ich schon nicht betrügen kann, dann sollen das andere auch nicht tun.“ […] Rockenbach zieht aus ihrer Studie auch allgemeine Schlüsse: „Eine Gesellschaft, die Missstände wie Schwarzarbeit oder U-Bahn fahren ohne Ticket auch als solche deklariert und sozial sanktioniert, fährt besser als eine Gesellschaft, in der Menschen weggucken.“ Es gehe dabei gar nicht um einen starken Staat oder harte Strafen. Von Freunden, Kollegen oder Nachbarn schief angesehen zu werden, reiche oft schon. […]