Thema der Klausur: 

Die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union

Aufgabentyp:

Erläutern – Analysieren und Einordnen – Erörtern

Aufgaben: 

  1. Erläutern Sie systematisch, welche Faktoren für Migration es gibt.
  2.  Analysieren Sie die Position Liebichs zur aktuellen Flüchtlingspolitik der Europäischen Union.
  3. Ordnen Sie die verschiedenen Gründe für die Flüchtlinge, ihr Heimatland zu verlassen, den in Aufgabe 1 erläuterten Faktoren zu.
  4. Erörtern Sie Konsequenzen aus der Position Liebichs zur Neuausrichtung der EU-Flüchtlingspolitik. Gehen Sie dabei jeweils auf zwei wirtschaftliche, politische und soziale Aspekte ein.

Materialgrundlage: 

“Jeder Mensch soll frei sein, seinen Lebensort zu suchen.” Interview des Deutschlandfunks (Radiosender)mit dem außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundestag Stefan Liebich am 08.10.2013

Text

 “Jeder Mensch soll frei sein, seinen Lebensort zu suchen.” 

Deutschlandfunk: Herr Liebich, erfüllt Italien mal wieder nicht seine Verpflichtungen?

Liebich: Das, was unser Innenminister, der Herr Friedrich von der CSU, dort sagt, das ist nicht anders als zynisch zu bezeichnen. Es geht hier nicht um Italiens Flüchtlinge oder um die Flüchtlinge der kleinen Insel Lampedusa, sondern diese Flüchtlinge sind Folge von Politik. Es geht hier nicht um Tragödien, die wie Naturkatastrophen entstehen, sondern hier ist menschengemachte Politik zu beobachten und die muss dringend geändert werden.

Deutschlandfunk: Und die Rolle Italiens?

Liebich: Ich finde, dass Italien seiner Verantwortung sehr wohl nachkommt und dass das auch richtig ist, aber dass die Europäische Union als solches – und deswegen wird ja darüber auch gerade in der EU geredet – ihre Asylpolitik ändern muss. Ich glaube nicht, dass es auf Dauer eine Lösung sein kann, dass wir in der Europäischen Union versuchen, unseren Wohlstand militärisch zu sichern, wie wir das durch die Agentur Frontex, die Europas Grenzen beschützen soll, versuchen. Unser Wohlstand lässt sich nicht militärisch sichern, das ist unmoralisch und auf Dauer auch nicht wirksam.

Deutschlandfunk: Das heißt, als Linker müssen Sie die Festung Europa auf jeden Fall schleifen?

Liebich: Ich glaube, dass das nicht nur Linke tun sollten. Ich glaube, dass das auch Konservative tun sollten. Gerade Leute mit einem christlichen Menschenbild sollten es nicht zulassen, dass Menschen auf hoher See sterben, weil wir ihnen nicht den Zugang zu unserem Wohlstand gewähren. Wir als Linke sind natürlich dafür, dass für Menschen in Not offene Grenzen in der Europäischen Union existieren sollten, und ich sage ausdrücklich, Menschen in Not bedeutet auch Menschen, die nach einem besseren Leben suchen. […]

Deutschlandfunk: Das heißt also, Tor und Türen sollen geöffnet werden für diejenigen, die aus der eigenen Situation sagen, wir halten es hier nicht mehr aus, wir müssen besser leben, wir kommen nach Europa?

Liebich: Selbstverständlich. Jeder Mensch sollte frei sein, seinen Lebensort zu suchen, und wir als Politiker haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Verhältnisse in der Welt nicht so sind, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Es ist ja nicht so, dass Leute gerne ihre Heimat verlassen. Viele der Flüchtlinge kommen im Moment ja zum Beispiel aus Syrien, wo ein schrecklicher Bürgerkrieg herrscht. Ich habe auch mit Leuten gesprochen, die lieber heute als morgen in ihr Land zurückkehren wollen, in ihrer Heimat ihr Land aufbauen wollen. Aber da, wo das im Moment nicht geht, da müssten wir helfen, und gerade ein Land wie Deutschland mit seiner eigenen Geschichte müsste das erste Land sein, das sich dafür einsetzt, dass man in solchen Situationen Hilfe gewährt und nicht wie Herr Friedrich nach noch mehr Schutz nach außen sucht. Ich glaube, dass das ein ganz falscher Weg ist und dass wir da eine umgekehrte Richtung einschlagen müssen.

Deutschlandfunk: Herr Liebich, es sind ja auch Tausende Flüchtlinge im Moment, die aus Somalia kommen, aus Eritrea, auch viele aus Syrien. Das haben Sie gerade gesagt. Aber eben auch Somalia, Eritrea. Wie lange wollen wir beide darauf warten, bis in diesen Ländern sich jemals etwas ändert?

Liebich: Wir müssen beides gleichzeitig tun. Wir müssen natürlich alles tun, was wir können, dass sich in den Ländern die Lage verbessert. Da haben wir natürlich im Moment schwierigere Einflussmöglichkeiten. Ich bin natürlich für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung. Ich bin dafür, dass es weniger Korruption gibt etc. pp. Aber das wird alles sehr langsam gehen. In der Phase bis dorthin müssen wir offen sein für Leute, die nach einem besseren Leben hier bei uns suchen. Und im Übrigen: Es ist ja nicht nur eine Last. Es wird ja bei uns in Deutschland so dargestellt, als kommt da ein Riesenproblem auf uns zu. Die Wahrheit ist ja: Wir müssten in Deutschland froh sein über jeden, der in unser Land kommen will. Das sind ja nicht nur Leute, wie gesagt wird, die uns auf den Taschen liegen, sondern wir brauchen junge Leute in unserem Land. Wer soll denn künftig unsere Renten, unsere Sicherungssysteme absichern, wenn nicht Leute von außen? Ich glaube, da ist auch in der deutschen Politik mehr Ehrlichkeit gefragt. […]

Deutschlandfunk: Herr Liebich, reden wir noch über die Ehrlichkeit in der Politik. Der Innenminister, Hans-Peter Friedrich, sagt, 78.000 Asylbewerber hat Deutschland aufgenommen, 15.000 hat Italien aufgenommen. Die meisten von denen kommen letztendlich erst nach Italien und werden dann weitergereicht durch Schleuser, Schlepper, wie auch immer. Sie müssen sehr, sehr viel Geld dafür bezahlen. Inwieweit kann die Politik sich das leisten, allen zu sagen, die wollen, ihr seid willkommen?

Liebich: Ich denke, wir können es uns leisten und wir müssen es uns leisten.

Deutschlandfunk: Keine Einschränkung?

Liebich: Nein. Diese Drittstaaten-Regelung, die damals in den 90er-Jahren eingeführt wurde, als das Asylrecht von CDU/CSU, FDP und SPD de facto geschleift wurde, ist ohnehin falsch. Ich glaube, es ist ein falscher Weg. Es ist eine falsche Herangehensweise zu sagen, wir wollen uns davor schützen. Ich glaube, Deutschland hat etwas davon und Deutschland hat die moralische Verantwortung, da offen zu sein. Das, was der Innenminister tut ist, den Leuten in Deutschland Angst machen, und das ist zynisch gegenüber den Flüchtlingen, aber es ist auch nicht sinnvoll Deutschland gegenüber. […]

Deutschlandfunk: Aber wir sind doch bislang schon nicht in der Lage, vielen Zehntausenden eine Perspektive hier in diesem Land zu bieten, die bereits in unserem Land sind.

Liebich: Ja, weil wir auch eine falsche Politik machen. Ich meine, wer zu uns kommt, der muss natürlich die Chance haben, hier arbeiten zu gehen. Es ist eine absurde Politik, dass wir sagen, ihr könnt hier herkommen, aber ihr habt hier nicht das Recht zu arbeiten. Natürlich haben dann Leute den Eindruck, hier liegt uns jemand auf der Tasche, aber das sind häufig Leute, die es nicht wollen. Wir müssen auch wegkommen von einer Situation, dass Menschen in speziellen Heimen untergebracht werden. Wo ist denn das Problem? Als unsere Partei hier in Berlin regiert hat, haben wir das geändert. Wo ist denn das Problem, Menschen dezentral in Wohnungen unterzubringen? Das ist besser für die Integration und das ist besser für die Leute selbst. Ich glaube, wir können da eine Menge anders machen. Dann wird es auch von der Bevölkerung in Deutschland nicht mehr so empfunden wie jetzt.

Deutschlandfunk: Haben Sie genügend Geld, das zu finanzieren?

Liebich: Na, aber sicher! Wir sind eine der besten funktionierenden Volkswirtschaften der Erde. Unser Wirtschaftswachstum steigt, unsere Arbeitslosigkeit sinkt. Wo sollte denn da das Problem sein? Wenn Sie sich anschauen, was in den Nachbarländern von Bürgerkriegsgebieten passiert, um Syrien herum, dann nehmen Länder, die es durchaus schwerer haben, einen weitaus größeren Anteil an Flüchtlingen auf, als das Deutschland in der Gegenwart tut, und ich denke, wir müssen da mehr Initiative zeigen. […]