Aufgabenstellung: 

1. Analysieren Sie den Text, indem Sie

  • die Kernaussage Fratzschers benennen und
  • darlegen, wie er diese argumentativ begründet
  • seine Forderungen benennen
  • und diese vor dem Hintergrund seiner Biographie beurteilen.

Hinweis: Beachten Sie bei der Analyse den Konjunktiv!

2. Stellen Sie dar, vor welchen Herausforderungen andere Gesellschaften standen, indem Sie kurz eine politische Theorie ihrer Wahl vorstellen. Gehen Sie bei der Darstellung hauptsächlich auf die Rolle des Staates in Bezug auf das Zusammenleben in der Gesellschaft ein. 

3. Erörtern Sie, ob das Bedingungslose Grundeinkommen eine Möglichkeit „einer zielgenaueren Wirtschafts- und Sozialpolitik“ (Z. 48f) für Fratzscher darstellen könnte. Nennen Sie dabei Pro- und Contra-Argumente und führen Sie diese anhand der im Unterricht benannten Beispiele aus. 

Quelle:

http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-12/soziale-ungleichheit-elite-bildung-arbeitsmarkt-fratzschers-verteilungsfragen/komplettansicht?print; zuletzt abgerufen am 17.6.17

Autor:

Marcel Fratzscher leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Von 2001 bis 2012 war Fratzscher für die Europäische Zentralbank tätig, zuletzt als Leiter der Abteilung International Policy Analysis. Für ZEIT ONLINE schreibt er seit Dezember 2016 die Kolumne “Fratzschers Verteilungsfragen“.

In seinem kürzlich veröffentlichten Buch „Verteilungskampf“ stützt er die These, dass die Ungleichheit in Deutschland eine Wachstumsbremse sei.

Material:

Soziale Ungleichheit: Die Elite verschließt die Augen

Marcel Fratzscher

Wer unzufrieden ist über die soziale Ungleichheit im Land, liegt damit nicht falsch. Aber die Politik will die Tatsachen nicht wahrhaben.

23.12.2016; ZEIT ONLINE

„Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig,“ schrieb Kurt Tucholsky 1931 mit einem Schuss Ironie über die Manipulation der Bürger durch die Politik. Das Zitat trifft auch heute noch zu. Viele Menschen in Deutschland klagen über eine zu hohe soziale Ungleichheit. Sie fühlen sich abgehängt und sorgen sich um ihre Zukunft. Die Elite hingegen klagt, Bürgerinnen und Bürger verkennten die Realität. Es ginge Deutschland doch eigentlich gut. Die soziale Marktwirtschaft sei lebendig, und es gehe in unserem Land gerecht zu.

Damit erhebt die Elite Anspruch auf die Deutungshoheit über die Fakten, über die Wahrheit. Aber kann es sein, dass es nicht die Menschen sind, die das meiste falsch verstehen, sondern die kleine Gruppe von Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Medien?

Das Grundgefühl vieler Menschen in Deutschland heute ist eines der Angst und Sorge vor der Zukunft und vor Chancenlosigkeit. In Umfragen sagen 70% der Deutschen, dass sie die soziale Ungleichheit als zu hoch empfinden. […] In ihren Augen beweist dieses Gefühl: Die Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft wurden gebrochen. Diese soll nicht nur einen funktionierenden Markt gewährleisten, sondern auch ein gutes Sicherungsnetz garantieren, den Bürgern aber zugleich eine hohe Eigenständigkeit und Eigenverantwortung ermöglichen. 

[…] Viele leugnen das Problem mit Verweis auf die wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen 10 Jahre. Die Arbeitslosenquote ist von über 5 Millionen auf heute 2,7 Millionen halbiert worden. Wir sind stolz, Export-Vizeweltmeister zu sein, und auf die vielen deutschen Weltmarktführer. Deutschland ist viel besser durch die globale Finanzkrise und die europäische Wirtschaftskrise gekommen als die meisten unserer Nachbarn.

Viele ignorieren jedoch, dass diese Erfolge nicht allen, sondern nur wenigen Menschen zugute gekommen sind. Das reale Einkommen mehr als jedes dritten Haushalts in Deutschland ist in den vergangenen 15 Jahren geschrumpft. Mehr Menschen arbeiten in prekärer Beschäftigung, oder sie würden gerne mehr arbeiten und damit auch mehr Geld verdienen. Die Ungleichheit der Einkommen der unter 40-Jährigen ist heute doppelt so hoch wie in der Generation ihrer Eltern. Und Chancengleichheit und soziale Mobilität sind im internationalen Vergleich häufig gering. 

Kinder aus sozial schwächeren Familien haben es enorm schwer, ihre Talente und Fähigkeiten zu nutzen und Eigenverantwortung für ihr Leben übernehmen zu können. Frauen werden im Arbeitsmarkt deutlich diskriminiert und die Politik tut noch immer zu wenig, um dies zu beenden. Auch Menschen mit Migrationshintergrund haben es ungleich schwerer, ihre Fähigkeit zu nutzen und bei Bildung, im Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft eine faire Chance zu bekommen. […]

Es sind nicht die Menschen, die mit ihrer Unzufriedenheit über die hohe soziale Ungleichheit falsch liegen. Sondern es ist die Politik, die diese unbequeme Tatsache nicht wahrhaben möchte. Denn dies erfordert ein grundlegendes Umdenken hin zu einer zielgenaueren Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie große Investitionen. Der gewählte Weg zur Ausweitung von staatlichen Transfers an zu meist eh schon privilegierte Gruppen wird nichts grundlegend am Problem der sozialen Ungleichheit in Deutschland ändern.