Thema: Säkulare Stagnation – ein langsames Ende des Wachstums?

Inhaltlicher Bezug: Inhaltsfeld 4: Wirtschaftspolitik, SW GK

Inhaltliche Schwerpunkte: 

  • Legitimation staatlichen Handelns im Bereich der Wirtschaftspolitik
  • Zielgrößen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland
  • Konjunktur- und Wachstumsschwankungen
  • Wirtschaftspolitische Konzeptionen
  • Bereiche und Instrumente der Wirtschaftspolitik 

Aufgabenart: Darstellen – Analysieren – Erörtern

Aufgaben:

  1. Skizziere den idealtypischen Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung in einer modernen Volkswirtschaft. Erläutere dabei an der Phase der Rezession die Entwicklung von BIP, gesamtwirtschaftlicher Nachfrage, Produktionsauslastung und Beschäftigung. (24 Punkte)
  1. Analysiere den Text, indem du die Position und Argumentation des Autors bezüglich des Phänomens der säkularen Stagnation, seinen Ursachen und seiner Lösungsmöglichkeiten herausarbeitest (M1). Werte die Grafiken M2 und M3 hinsichtlich der Aussagen des Textes aus. (46 Punkte)
  2. Erörtere ausgehend von dem Zitat „ohne den Staat geht es nicht“ (Z.44) die Chancen und Gefahren staatlichen Eingreifens in die Wirtschaftspolitik. (30 Punkte)

Materialgrundlage:

Zum Autor: Dieter Wermut war tätig als Mitarbeiter des Sachverständigenrates für wirtschaftliche Entwicklung, tätig bei mehreren internationalen Banken und jetzt Partner einer Beratungsfirma für Finanzdienstleister. Als Autor für Die Welt und dem Blog Herdentrieb tätig

  • M2: Grafik Produktivitätswachstum, aus Baldi, Guido: DIW-Roundup (11/2015): Produktivitätswachstum, Investitionen und säkuläre Stagnation. Abrufbar unter:   1https://www.diw.de/de/diw_01.c.519231.de/presse/diw_roundup/produktivitaetswachstum_investitionen_und_saekulare_stagnation.html

Zum Autor: Dr. Gguido Baldi, Tätig in der Abteilung Konjunkturpolitik des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW), eines der sechs führenden Forschungsinstitute für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.

Zugelassene Hilfsmittel:

  • Wörterbuch zur deutschen Sprache

 

Text

M1 Warum die Produktivität stagniert – und was dagegen getan werden kann.

Aus deutscher Sicht läuft es wirtschaftlich ziemlich gut […]. Es gab 2016 so viele Jobs wie noch nie, 43,5 Millionen und damit ein Prozent mehr als im Vorjahr, es herrscht nicht nur nahezu Vollbeschäftigung, sondern auch Preisstabilität, der Staat erwirtschaftet seit Jahren Budgetüberschüsse, kaum ein anderes Land ist international so wettbewerbsfähig, und die Zuwachsrate des realen BIP von 1,9 Prozent, wie sie im abgelaufenen Jahr erreicht worden ist, kann sich sehen lassen.

Aber in einer Hinsicht läuft es gar nicht gut: Die Produktivität wächst seit fast zehn Jahren nur noch sehr langsamen. Der Sachverständigenrat für Wirtschaft schreibt in seinem letzten Jahresgutachten (S. 126f.), dass „die Potenzialwachstumsrate der Arbeitsproduktivität seit Beginn der 1990er-Jahre von über 2% auf 0,8% im Jahr 2009 gefallen [ist] und […] seitdem auf diesem Niveau [verharrt].“ Bei zwei Prozent im Jahr verdoppelt sich der Output pro Arbeitsstunde alle 35 Jahre, wenn es bei einer Zuwachsrate von 0,8 Prozent bleibt, dauert es 87 Jahre, also ein ganzes Menschenleben lang. Das war in der Vergangenheit viel besser. Sollte der Input an Stunden also um 0,8 Prozent jährlich zurückgehen, kann das reale BIP nicht mehr steigen. Manche halten das angesichts des demografischen Wandels für gar nicht so unwahrscheinlich. Wenn dann gleichzeitig Einkommen und Vermögen weiterhin immer ungleichmäßiger verteilt werden, ergibt sich eine politisch explosive Mixtur.

[…] Es wird mehr gearbeitet, gemessen an der Anzahl neuer Jobs und dem gesamtwirtschaftlichen Anstieg der Arbeitsstunden, aber pro Stunde nimmt der Output fast nicht mehr zu. Es fehlt an Effizienzgewinnen bei der Produktion der Güter und Dienstleistungen. Der größte Teil des BIP-Wachstum stammte zuletzt aus der Zunahme der Beschäftigung, nicht aus dem effizienteren Einsatz der Mittel.

[…] Zur Zeit (wird) wieder einmal lebhaft über die „säkulare Stagnation“ diskutiert, was bedeutet, dass viele Ökonomen den Rückgang des Produktivitätswachstums eben nicht für etwas Vorübergehendes halten. Wie kommen sie darauf und welche Therapie schlagen sie vor?  […]

DeLong präsentiert eine Liste mit (…) verschiedenen Erklärungsversuchen:

  1. Durch die ungleiche Einkommensverteilung wird zu viel gespart – die Reichen konsumieren nicht genug (These von Hobson).
  2. Da technischer Fortschritt und Bevölkerungswachstum stagnieren, sinkt die Ertragsrate der Investitionen, so dass zu wenig investiert wird (Hansen).
  3. Die schwache Nachfrage nach Kapitalgütern zusammen mit deren raschem Preisverfall haben die Gewinnaussichten von Firmen dieses Sektors stark verschlechtert. […]

Was die Therapie angeht, herrscht unter den Ökonomen, die sich mit dem Thema „säkulare Stagnation“ befassen, Einigkeit, dass es der private Sektor allein nicht schaffen kann und der Staat daher aktiv werden muss. Summers sieht hier zwei Ansatzpunkte: Zum Einen sollte die Verteilung von Vermögen und Einkommen durch ein progressives Steuersystem und gezielte Transfers nachhaltig korrigiert werden. Zum Anderen braucht es eine expansivere Finanzpolitik mit einem Focus auf Investitionen in Human- und Sachkapital, verbunden mit Anreizen für private Investitionen.

Das trifft sich gut mit dem Paradigmenwechsel, der in der Ökonomie begonnen hat, dass es den Märkten (einschließlich der Weltmärkte) und der Geldpolitik allein nicht gelingt, Wachstum und Wohlstand zu schaffen. Ohne den Staat geht es nicht.