Thema der Klausur: Repräsentative und direkte Demokratie

Aufgabenstellung:

  1. Analysiere den vorliegenden Text, indem du die Position des Autors zur Einführung direktdemokratischer Verfahren und seine Argumentationsstruktur herausarbeitest.
  2. Stelle das Gesetzgebungsverfahren in der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland kurz dar und beziehe dabei die Rolle der Verfassungsorgane im Gesetzgebungsprozess mit ein.
  3. Erörtere, ob die Einführung direktdemokratischer Elemente zur Lösung der im Text dargestellten Probleme der repräsentativen Demokratie beitragen kann.

TextgrundlageJäger, Wolfgang: Es mangelt an innerparteilicher Demokratie.  Erschienen als Gastbeitrag in der badischen Zeitung am 13. August 2011.  Der Autor ist Politikwissenschaftler und war Rektor der Universität Freiburg

TextEs mangelt an innerparteilicher Demokratie

In einer Demokratie gehört die Debatte über die angemessene Gestaltung ihrer Institutionen und Verfahren zum Lebenselixier. Die Entscheidung der Väter und Mütter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland für ein ausgeprägt repräsentatives System wurde denn auch von Anfang an immer wieder hinterfragt. Der Wunsch nach plebiszitären Mechanismen erlebte regelrechte Konjunkturschübe – so auch heute. Volksabstimmungen sollen Blockaden aufbrechen oder der politischen Elite Grenzen setzen. […]

Heute haben wir es mit einer doppelten Krise zu tun. Zum einen hat das Herzstück der repräsentativen Demokratie – das Parlament – an Bedeutung verloren. Bundestagspräsident Norbert Lammert wird nicht müde, über die Missachtung des Parlaments durch die Bundesregierung zu klagen. Dies gilt für die Budgethoheit des Bundestages, aber auch für den öffentlichen Diskurs. Dieser findet nicht mehr im Parlament, sondern in Talkshows, an Runden Tischen und in Schlichterverfahren statt, mit Teilnehmern ohne demokratische Legitimation und selbsternannten “Vertretern des Volkes”, die sich auf die Unterstützung durch die Medien verlassen.
Die zweite, noch schlimmere Krise ergibt sich aus dem Funktionsverlust der politischen Parteien. Die Führungen der Volksparteien haben den Kontakt mit ihrer Mitgliederbasis weitgehend verloren. Wenn zu Mitgliedertreffen eingeladen wird, dann handelt es sich, wie bei Regionalkonferenzen, meist nur um Marketing-ähnliche Veranstaltungen, wo Entscheidungen der Spitze kommuniziert werden, aber nicht um Gremiensitzungen mit Entscheidungskompetenzen. Parteitage dienen auf allen Ebenen im wesentlichen der Aufstellung von Kandidaten für Wahlen, wobei angesichts des Mitgliederschwunds und der Personalnot der Parteien der Kreis von Entscheidern und Kandidaten immer kleiner wird. […]

Solange der Parlamentarismus und die innerparteiliche Demokratie nicht wiederbelebt werden, wird der Ruf nach direktdemokratischen Verfahren immer lauter. Ein erfolgreiches Rezept für die notwendige Verbindung von Regierbarkeit und demokratischer Teilhabe ist darin jedoch allenfalls für die Entscheidung über lokale und regionale Projekte, nicht aber für die Lösung wichtiger nationaler Herausforderungen zu erkennen. Die große Komplexität, die mangelnde Verantwortung der Abstimmenden und die oft nötige Dringlichkeit von Entscheidungen sowie die häufige Orientierung an Stimmungen auf der Straße sind keine guten Bedingungen für Volksentscheide. Vor allem sind Plebiszite meist Entscheidungen engagierter Minderheiten und nicht der Mehrheit der Bevölkerung – Quorum hin, Quorum her. Verzichten wir nicht leichtsinnig auf die Vorzüge der Parteiendemokratie, der wir die erfolgreiche Geschichte der Bundesrepublik verdanken.
Die politischen Parteien zu erneuern, ist in erster Linie Sache ihrer Führungen. Dem Parlament wieder seine angestammte Rolle zu geben, ist die Aufgabe der gesamten politischen Elite, zuvörderst der Bundesregierung und der Kanzlerin.