Thema: Europäische Union – Quo Vadis?! (SW GK – Vorab-Klausur)

Inhaltlicher Bezug:

Inhaltsfeld 5: Europäische Union

Inhaltliche Schwerpunkte: 

  • EU-Normen, Interventions- und Regulationsmechanismen sowie Institutionen
  • Europäischer Binnenmarkt
  • Europäische Integrationsmodelle
  • Strategien und Maßnahmen europäischer Krisenbewältigung

Aufgabenart: Darstellen – Analysieren – Erörtern

Aufgaben:

  1. Stelle zwei Institutionen der Europäischen Union hinsichtlich ihres Aufbaus und ihrer Aufgaben dar. (24 Punkte)
  2. a) Analysiere den Text, indem du die Position, Intention und Argumentation des Autors bezüglich der zukünftigen Entwicklung der EU herausarbeitest.

b) Ordne seine Vorstellung in das Spektrum von Leitbildern der europäischen Integration begründet ein. (46 Punkte)

  1. In dieser Konstellation könnten Paris und Berlin wieder eine Avantgarde bilden, die mutig voranschreitet und Europa eine Richtung gibt.“ (Z.53) Erörtere ausgehend von dem Zitat, ob eine vertiefte Zusammenarbeit der europäischen Staaten eine Lösung für die Herausforderungen und Krisen der EU ist. Berücksichtige dabei politische und ökonomische Aspekte. (30 Punkte)

Materialgrundlage:

Gutschker, Thomas (2017): Europas Kurs hängt von Frankreich ab. In Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) Nr. 9, Jg. 2017, Seite 10. Erschienen am 5. März 2017

Zum Autor: Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der FAS. Als Mitglied der politischen Redaktion der Sonntagszeitung schreibt er vor allem über außen- und sicherheitspolitische Themen.

Zugelassene Hilfsmittel:

  • Wörterbuch zur deutschen Sprache

 

Text:

Europas Kurs hängt von Frankreich ab

Wenn Regierungen ein Weißbuch veröffentlichen, wollen sie damit ihren Kurs abstecken. Man kennt das hierzulande, wenn alle paar Jahre ein Weißbuch zur Sicherheitspolitik erscheint, das die Bundeswehr auf ein gewandeltes Umfeld ausrichtet. Auch in Europa gibt es seit langem solche strategischen Papiere, die ihren Namen der Farbe des Umschlags verdanken. Manche erlangen sogar gewisse Berühmtheit, etwa das Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts von 1985. Es enthielt sage und schriebe dreihundert Vorschläge für neue Rechtsakte, die auch zum größten Teil verwirklicht wurden.

Damals war der Autor ein Brite – heute trauen sich selbst glühende Anhänger eines vereinigten Europas einen solchen Kraftakt nicht mehr zu. Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident und Europäer aus Überzeugung, hat davon gerade Zeugnis abgelegt. Er präsentierte ein „Weißbuch über die Zukunft Europas“. Doch das gibt nicht einen Weg vor, sondern gleich fünf, die zu ganz unterschiedlichen Zielen führen. Es ist das Buch zur Krise Europas. Es legt offen, dass die Mitgliedstaaten sechzig Jahre nach den Römischen Verträgen keine gemeinsame Vorstellung mehr von ihrer Zukunft haben.

Juncker beschreibt die Positionen idealtypisch. Die einen haben nur noch Interesse am Binnenmarkt, die anderen wollen eine schlagkräftige politische Union – das sind die beiden Extreme. Dazwischen liegen drei vermittelnde Positionen: einfach weiter durchwursteln ohne größere Sprünge nach vorne oder zurück; in Europa zwar weniger machen, das aber umso besser; und eine Union der verschiedenen Geschwindigkeiten, in der die Willigen voranschreiten. In den nächsten Monaten will Juncker weitere Papiere vorlegen. Sie sollen die fünf Positionen auf zentrale Herausforderungen Europas abklopfen: die Sozialpolitik, die Globalisierung, die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, eine gemeinsame Verteidigungspolitik und die Finanzierung des EU-Haushalts. Die Europäer sollen sich so über ihre Optionen klarwerden. Niemand soll sich über eine „alternativlose Politik“ beschweren können.

Dieses Vorgehen ist ungewöhnlich, gerade weil es von der Kommission kommt. Im Gefüge der Brüsseler Institutionen ist sie immer der Motor einer engeren Zusammenarbeit gewesen. Es geht gar nicht anders, schließlich hat sie für alle Gesetze das Initiativrecht. Doch stieß dieses System während der Flüchtlingskrise an seine Grenzen. Da beschloss die Mehrheit der Staaten zwar eine faire Verteilung von Flüchtlingen, die an den Außengrenzen landeten. Doch fehlte der Wille, den Beschluss umzusetzen – und das nicht nur bei jenen, die überstimmt worden waren. Für Europa ein schwerwiegendes Problem: Was soll man von einer Union halten, die als Rechtsgemeinschaft auftritt, gerade gegenüber Dritten, aber ihre eigenen Rechtsakte ignoriert?

Niemand kann heute sagen, ob sich in den nächsten Jahren wieder ein gemeinsamer Handlungswille einstellt. Aber man kann die Faktoren dafür benennen. Äußere Entwicklungen zum Beispiel. Je aggressiver Russland auftritt, desto eher schließen sich die Reihen. Auch Donald Trump verstärkt den europäischen Sinn für Abgrenzung. Und im Angesicht des Brexit haben die Regierungen der Versuchung widerstanden, separate Absprachen mit London zu treffen. Der Zusammenhalt macht alle stärker, die großen und die kleinen Staaten – eine wichtige Erfahrung.

Es gibt aber auch Anfechtungen in den Mitgliedstaaten selbst. Rechts- und Linkspopulisten locken mit einer Position, die Juncker im Weißbuch ausspart: Sie versprechen, die Grenzen dicht zu machen, den Euro abzuschaffen und alles auf die nationale Karte zu setzen. In Frankreich ist Marine Le Pen damit sehr erfolgreich. Vielleicht erobert sie in zwei Monaten sogar den Elysée-Palast; die Schwäche des von einer Korruptionsaffäre zerfressenen bürgerlichen Kandidaten Fillon treibt ihr neue Wähler zu. Es würde dann nicht mehr darum gehen, wie die Union in ein paar Jahren aussehen soll, sondern ob es sie überhaupt noch gibt. Allerdings kann es auch ganz anders kommen. Falls Emmanuel Macron Präsident wird, hätte er ein Mandat, um sein Land zu modernisieren und Europa einen großen Schritt nach vorne zu bringen – denn dafür tritt er an.

In dieser Konstellation könnten Paris und Berlin wieder eine Avantgarde bilden, die mutig voranschreitet und Europa eine Richtung gibt. So war es bei Schengen und beim Euro; der Erfolg zog andere nach. Nun geht es um engere militärische Bande, einheitliche Steuersätze und Sozialstandards, auch um einen europäischen Währungsfonds. Niemand verlangt, dass alle dabei von Anfang an mitmachen; die Verträge bieten schon heute die Option der verstärkten Zusammenarbeit. Sie wurde bisher kaum genutzt. Immerhin, ein Projekt ist nun auf dem Weg: 17 Staaten wollen eine europäische Staatsanwaltschaft einrichten, die Steuerdelikte und grenzüberschreibende Straftaten verfolgt.