Thema

Alles hat Grenzen Hat das Wachstum bald seine Grenze erreicht?

Aufgaben

  1. Analysieren Sie den vorliegenden Text hinsichtlich der von Meck vorgestellten Ansicht zur Entwicklung der Volkswirtschaften. Beachten Sie dabei, dass Sie die Argumentationsstruktur herausarbeiten, Argumente Mecks durch Fakten/Beispiele untermauern und angeführte Beispiele in ihrer Funktion für die Gesamtaussage abstrahieren.
  2. Stellen Sie das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz strukturiert dar. (Grundlage, Ziele/Zielbereiche, Grenzen)
  3. „In einer endlichen Welt kann eine Ökonomie nicht funktionieren, die auf endlosem Wachstum beruht“ (Z. 71 f.) Diskutieren Sie die Aussage Welzers zu den Grenzen des Wachstums einer Volkswirtschaft bzw. des globalen Wachstums. Wie realistisch sehen Sie diese Aussage? Begründen Sie Ihre Aussage.

Materialgrundlage

Meck, Georg: Ein Hoch auf das Wachstum. Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.2010

Zur Person: Georg Meck, Jahrgang 1967, ist stellvertretender Ressortleiter Wirtschaft sowie verantwortlich für „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Ein Hoch auf das Wachstum

Wenn die Thesen schon nicht knackfrisch sind, dann hilft wenigstens ein hübsches Gesicht. Das Hemd weit geöffnet, stürzt sich der Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht auf die Ökonomie und erklärt, wie Markt und Moral sich vertragen. Schlecht nämlich, urteilt er und greift tief in die 70er-Jahre-Kiste: „Wir vergiften die Atmosphäre, plündern den Planeten.“ So oder ähnlich gehört das zum Standardrepertoire aller Katastrophenpropheten seit dem Club-of-Rome-Aufschrei (“Die Grenzen des Wachstums“) vor bald 40 Jahren. Nun ist der Weltuntergang bisher gottlob ausgefallen, auch Wälder und Flüsse halten sich tapferer als befürchtet.

Und doch entfaltet sich eine seltsame Lust am Grusel: Die Welt ist schlecht. Die Welt ist ungerecht. Und alles endet böse. Ganz bestimmt. So schallt es aus Talkshows und den einschlägigen Podien. Alt gewordene Skeptiker, von altlinks bis konservativ, melden sich zu Wort, und mittendrin, als junge Entdeckung, dafür aber permanent, der Vielzweck-Philosoph Precht. „Ich halte im Jahr 100 Vorträge, alle frei und zu verschiedenen Themen“, sagt der Mann, der sogar von der FDP gebucht wird, um seine Kapitalismuskritik abzuladen. Lange kann das mit dem Wachstum nicht mehr gutgehen, erklingt der immer gleiche Refrain. „Wir rasen mit hoher Geschwindigkeit auf eine Mauer zu“, sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer, noch einer aus der Riege der Apokalyptiker. (…)

Zum Glück hört die Wirklichkeit nicht auf das Kommando der Untergangspropheten. Sosehr sie sich ergötzt haben an einstürzenden Banken: Das „System“, wie sie es nennen, hat überlebt. Schade eigentlich. Die Lehman-Pleite hat uns nicht in die Steinzeit zurückversetzt, aus uns wurde kein Volk von Bauern, die auf der eigenen Scholle ihre Knolle ziehen. Die Abgesänge auf die Marktwirtschaft waren voreilig, die Fabriken brummen wieder, Auto- und Chemieindustrie ziehen Deutschland aus der Krise, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst, die Menschen finden Beschäftigung, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Löhne steigen. Nur die Kulturpessimisten nölen: Wenn es dieses Mal noch gutging, dann kommt es nächstes Mal umso schlimmer.

Ihre Kritik setzt an bei der Statistik. Sie bezweifeln, dass das BIP, die Summe aller Waren und Dienstleistungen, als Maßstab für Wohlstand taugt. Die Zufriedenheit der Leute werde nicht erfasst, wenden sie ein, was stimmt, aber nie der Anspruch war: Das BIP bemisst das Volkseinkommen, nicht das Volksglück – nur bestehen da gewisse Zusammenhänge.

Als Konsequenz verlangen die Wohlstandskritiker, entweder dem König von Bhutan zu folgen, der für seine Untertanen einen Glücksindikator ausrechnet, oder zumindest ein noch näher zu definierendes „qualitatives Wachstum“ einzuführen. Da ihnen rauchende Schornsteine tendenziell ungeheuer sind, wäre jede geschlossene Fabrik ein „qualitativer Fortschritt“. (…)

Nur, um es einmal auszusprechen: Nie zuvor ging es weiten Teilen der Menschheit so prächtig wie heute. Der Wohlstand hat in den vergangenen 250 Jahren, seit Beginn der Industrialisierung, dramatisch zugenommen: Die Menschen leben besser, länger, gesünder. Und wer wollte den Hungernden und Ausgebeuteten in Afrika oder Asien die Möglichkeit nehmen, aufzuholen? Wie soll das Elend sich lindern ohne wirtschaftliche Dynamik? Es geht auch ohne Wachstum, Schluss damit, fordert dagegen eine wohlstandsverwöhnte Fraktion im Westen. Richard David Precht setzt sich offen dafür ein, das „künstlich befeuerte Wachstumsrad zum Stillstand“ zu bringen: „Ein Mehr an materiellem Wohlstand muss nicht sein und darf nicht sein.“ Was wohl der chinesische Wanderarbeiter dazu sagen würde? Oder der indische Bauer? Oder nur der Hartz-IV-Empfänger in Lüdenscheid?

Als Vorbild empfiehlt Precht den Asketen, der kein Fleisch isst, weder Führerschein noch Handy besitzt. In Wirklichkeit sehnen sich die Menschen „nicht nach einem Mehr an Besitz“, doziert der Philosoph, sondern nach mehr Liebe und Geborgenheit. Wohl wahr, am Geld hängt nicht das Glück, das wusste schon Großmutter, und doch war sie froh, als sie das erste Auto anschaffen konnte und den ersten Farbfernseher. Wahrscheinlich aber war sie nur verblendet von der Werbung; noch so ein Schlager längst vergangener Tage, den Precht und Konsorten jetzt wieder auflegen: Diese perfiden Marketingleute verführen uns, und wir unmündige Trottel fallen darauf herein, übertölpelt von einer arglistigen Finanzindustrie, die uns Kreditkarten verteilt; „Zeitbomben in Miniaturformat, Selbstvernichtungswerkzeuge“, wie der Philosoph zürnt. Und das alles nur, damit die Wirtschaft immer mehr produzieren kann, „Dinge, die wir vielfach nicht brauchen und die unser Glück nicht mehren“. (…)

Natürlich überleben wir ohne i-Pad (auch wenn es die Laune unterm Weihnachtsbaum heben würde), und auch eine Schüssel Reis ohne Fleisch macht den Chinesen satt. Nur, wer sagt ihm das? Welche Planungsbehörde regelt, wer Fahrrad und wer S-Klasse fährt? Und welche Innovation würden die Hohepriester des Verzichts als gesellschaftlich wertvoll und ökologisch unbedenklich durchgehen lassen? Wenn der Markt etwas Gutes hervorgebracht hatte, dann ist das aus ihrer Sicht lange her: die Erfindung von Glühbirne, Penicillin und Eisenbahn vielleicht, aber sonst? Wohin man blickt: nichts als Verderben.

Die Gründung von Kapitalgesellschaften, die uns erst reich gemacht haben, wird diffamiert als Quell allen Übels: „Aktiengesellschaften haben mit der Moral eines ehrbaren Kaufmanns kaum etwas zu tun“, schreibt Precht. Autos sind dringend abzuschaffen (CO2!), Atomkraftwerke abzuschalten (CO2?), sogar das Internet ist verdächtig. Es habe die „Geschäfte verantwortungsloser“ gemacht, unkt Precht und nennt als Beispiel den Apotheker, dem seelenlose Online-Versender das Geschäft verderben – der Applaus auf Apothekertagen ist ihm damit sicher, nur, was ist schlimm daran, wenn Pillen im Netz günstiger verkauft werden? Wie es um die Güte der Produkte aus dem Bankenviertel steht, muss nicht näher erläutert werden: Derivate, Zertifikate, Leerverkäufe – alles Teufelszeug, verbieten, sofort!

Überfischte Meere, Lecks auf der Bohrinsel, die bildungsferne Unterschicht, trostlose Talent-Shows, die Abholzung der Regenwälder – alles verrühren die Wohlstandskritiker zu einer trüben Suppe: Schuld ist im Zweifel die „Ökonomisierung“, die „Gewinnmaximierung“, die angewiesen ist auf Wachstum. „In einer endlichen Welt kann eine Ökonomie nicht funktionieren, die auf endlosem Wachstum beruht“, verkündet Welzer.

Warum eigentlich nicht? Warum soll die Menschheit die Gabe verloren haben, Neues zu erfinden? Gerade um der drängenden Probleme – Ernährung, Klima, Energie – Herr zu werden, braucht es Fortschritt, also Wachstum. In welche Richtung es nach dem Willen von Precht und Konsorten gehen soll, deutet der Philosoph nur an. Es dürfe vermutet werden, so schreibt er, „dass es auch im Realsozialismus alles in allem zufriedene Menschen gab, denen es nicht viel ausmachte, dass ihr Lebensstandard in den 1980er Jahren nicht mehr anstieg.“ Aha, endlich ist es raus.