Thema:

Folgerungen aus dem Homo oeconomicus – ein Modell ohne Folgen?

Aufgabenart:

Darstellung – Analyse – Stellungnahme

Aufgabenstellung:

I. Stellen Sie strukturiert das Modell des Homo oeconomicus dar. (Grundidee, Darstellung der Handlungsentscheidungen, Kritik am Modell)

II. Analysieren Sie den vorliegenden Text von Hanno Beck bezüglich seiner Auffassung und Wert vom Modell des Homo oeconomicus. Denken Sie dabei an eine vollständige Einleitung, eine ausführliche Darstellung der Argumentation und Ihre Einschätzung der Position und der Intention des Autoren.

III. Nehmen Sie Stellung zur Forderung des Autoren: „Der Staat setzt den Rahmen, der für Fairness, sozialen Ausgleich und Effizienz sorgt, und lässt seinen Bürgern innerhalb dieses Rahmens größtmögliche Freiheit – auch die Freiheit, sich unvernünftig zu verhalten.“ (Z.40)

Textgrundlage:

Beck, Hanno: Angriff auf den homo oeconomicus. Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.03.2009. (gekürzt)

Hanno Beck ist Journalist im Ressort Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Text:


Angriff auf den homo oeconomicus

Wer an der Idee vom Menschen als vernunftbegabtes Wesen zweifelt, muss derzeit nicht lange suchen: Manager, die Bankenimperien in den Ruin treiben, Finanzmärkte, die außer Rand und Band geraten sind, und Anleger, die Papiere gekauft haben, für deren Verständnis man ein Mathematik-Diplom benötigt – das soll also der Mensch, das intelligente, voll rationale Wesen sein?

Dieser Befund könnte geeignet sein, die Ökonomie in ihren Grundfesten zu erschüttern: Dem “Homo oeconomicus”, dem kühlen, berechnenden und nutzenmaximierenden Hauptdarsteller der ökonomischen Modellwelt, wäre so etwas nie passiert. Die Idee des rational agierenden Menschen ist die zentrale Annahme der klassischen Ökonomie – ohne den Homo oeconomicus, der Kritiker an den kalten, rein logisch entscheidenden Mr. Spock aus der Science-Fiction-Serie “Raumschiff Enterprise” erinnert, ist die ökonomische Theorie kaum vorstellbar.

Auch wenn dieses Menschenbild vom berechnenden Nutzenmaximierer enorme Fortschritte bei der Ausarbeitung ökonomischer Theorien und Modelle ermöglicht hat, liegt die Kritik auf der Hand: Menschen sind nicht perfekte Rechenmaschinen oder egoistische Kaltblütler ohne Emotionen. Die wenigsten von uns verschieben Kurven oder jonglieren mit Formeln, bevor sie eine Entscheidung treffen. Diese Kritik am Homo oeconomicus hat sich mittlerweile in einer eigenen Disziplin gesammelt, der sogenannten Verhaltensökonomik (“behavioral economics”): Hier versucht man mit Hilfe der Psychologie aus dem kalten Mr. Spock ein realitätsnahes Wesen aus Fleisch und Blut zu machen. (…)

Menschen, so die Vertreter dieser Disziplin, unterliegen im Gegensatz vielen kognitiven Beschränkungen: Sie machen permanent Fehler bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung, sie sind willensschwach und emotional, und sie sind bei weitem nicht so egoistisch, wie es uns die Ökonomen glauben machen wollen.  (…)

Treffen wir beispielsweise zufällig einen Unbekannten und müssen seinen Beruf erraten, so gehen wir pragmatisch vor: Statt auszurechnen, wie hoch die statistische Wahrscheinlichkeit ist, dass unser Gegenüber ein Bibliothekar oder ein Verkäufer ist, schauen wir ihn uns einfach an: Sieht er aus wie ein Bibliothekar, so vermuten wir, dass er auch einer ist. Dabei blenden wir die Tatsache aus, dass es mehr Verkäufer als Bibliothekare gibt und es damit wahrscheinlicher ist, dass wir einen Verkäufer getroffen haben.

Ist das ein Fehler? (…) Menschen nehmen bei der Entscheidungsfindung oft geistige Abkürzungen und Daumenregeln und begehen dabei systematische Fehler. (…) – was Folgen für die Wirtschaftspolitik hat. (…)

Doch ganz so unproblematisch ist die schöne neue Welt des vermenschlichten Homo oeconomicus auch nicht, die Kritiker sind zahlreich. Zum einen werfen sie den Psychologen vor, dass viele der von ihnen behaupteten Anomalien nur Ergebnis von Laborexperimenten sind – ändert man die Experimente, so verschwinden sie. Zudem zeigen gerade die Heuristiken, dass Menschen extrem gute Ökonomen sind: Statt bei kleinen Problemen stundenlang durchzurechnen und abzuwägen, fällen sie ohne großen Aufwand eine schnelle Entscheidung – das ist effizient und damit ökonomisch. Dass man bei solchen Entscheidungen auch mal danebenliegen kann, ist der Preis der Effizienz

(…) Kein Wunder: Je “menschlicher” man den Homo oeconomicus macht, umso unberechenbarer wird er, und umso schwieriger wird es, eine adäquate Politik zu betreiben. Vielleicht sollte man sich angesichts dieser Unübersichtlichkeit auf alte wirtschaftspolitische Tugenden besinnen: Der Staat setzt den Rahmen, der für Fairness, sozialen Ausgleich und Effizienz sorgt, und lässt seinen Bürgern innerhalb dieses Rahmens größtmögliche Freiheit – auch die Freiheit, sich unvernünftig zu verhalten.