Aufgabenart

Analyse – Darstellung – Diskussion

Thema

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland: Ein Konjunktur-V?

Aufgaben

  1. Analysieren Sie den vorliegenden Text hinsichtlich der von Schilbe vertretenen Ansicht zur konjunkturellen Lage der bundesdeutschen Volkswirtschaft. Beachten Sie dabei, dass Sie die Argumentationsstruktur herausarbeiten, allgemeine Behauptungen Schilbes durch Fakten/Beispiele untermauern und angeführte Beispiele in ihrer Funktion für die Gesamtaussage abstrahieren.
  2. Stellen Sie Erklärungsmodelle konjunktureller Schwankungen (Verlauf, Einflussfaktoren, Dependenzen) ausführlich dar.
  3. Die derzeitige Bundesregierung hat zu Beginn dieses Jahres umfangreiche Konjunkturprogramme aufgelegt. So wurde beispielsweise durch die Umweltprämie („Abwrackprämie“), städt. Bau-maßnahmen oder Steuererleichterungen versucht, Wirtschaftswachstum herbeizuführen. Diskutieren Sie die Wirksamkeit von konjunkturbelebenden Maßnahmen in der diesjährigen wirtschaftlichen Situation. Beziehen Sie sich dabei auch auf Ihre Erkenntnisse aus den vorangegangenen Aufgabenteilen.

Materialgrundlage

Stefan Schilbe: Von wegen ein Konjunktur-V. In: Financial Times Deutschland vom 23.08.2009 (gekürzt)

Der Verfasser ist Chefvolkswirt bei der Düsseldorfer Bank „HSBC Trinkaus“.

Als Hilfsmittel ist ein Wörterbuch der deutschen Sprache sowie die Datenzusammenschau „Deutschland in Zahlen“ (IWD Köln) erlaubt.

Von wegen ein Konjunktur-V

Nachdem es bis zum Frühjahr fast ausschließlich schlechte Nachrichten von der deutschen Wirtschaft gab, schießen nun die konjunkturellen Stimmungsindikatoren wieder nach oben. Nimmt man exemplarisch die jüngsten ZEW-Finanzmarktumfrage, sind die befragten Teilnehmer für die deutsche Konjunktur bereits wieder so zuversichtlich wie zuletzt im April 2006. Der Indikator signalisiert – wie viele andere auch – für die nächsten Quartale eine Verbesserung der Wirtschaftslage.

Angesichts der Schwere der Rezession ist es nicht verwunderlich, dass die Befragten die gesamtwirtschaftliche Konjunktur in sechs Monaten positiver einschätzen. Es ist schwierig, über einen so langen Zeitraum dermaßen schlechte Laune zu haben. Eine zuverlässige Aussage über das Ausmaß der Erholung ist damit noch nicht getroffen.

Um die Wachstumsperspektiven richtig einschätzen zu können, kommt man um Ursachenforschung für den Absturz nicht herum. In der Krise wurde Deutschland die besonders starke Exportabhängigkeit zum Verhängnis: Ein beispiellos kollabierender Welthandel in Kombination mit einer historischen Unterauslastung von Kapazitäten und einem schwierigen Finanzierungsumfeld ließ die Nachfrage vor allem nach Investitionsgütern und Automobilen einbrechen. Dies sind aber just die Bereiche, in denen Deutschland in besonderem Maße konkurrenzfähig ist.

Die unbestritten hohe Wettbewerbsfähigkeit dürfte sich bei einer bereits in Ansätzen erkennbaren Stabilisierung des Welthandels als Stütze erweisen.

Aber welche Regionen könnten den Exportsektor ankurbeln? Mittel- und Osteuropa, 2008 für mehr als ein Zehntel der deutschen Exporte verantwortlich, liegen immer noch am Boden. Weitere 14 Prozent gingen in die USA und Großbritannien. Diese Länder leiden unter den Folgen der geplatzten Immobilienblasen, die das gesamte dortige Wachstumsmodell infrage stellen.

Die üble Mixtur aus massiver Überschuldung, fallenden beziehungsweise stagnierenden Vermögenswerten, steigender Arbeitslosigkeit und immer noch schwierigem Kreditzugang dürfte den Konsum der privaten Haushalte dort auf Jahre hinaus beeinträchtigen. […]

Die Hoffnungen ruhen […] auf Asien, allen voran China. Dorthin gingen 2008 allerdings nur vier Prozent unserer Exporte. Angefeuert durch ein gigantisches Konjunkturprogramm in diesem und im nächsten Jahr dürfte die Volksrepublik mit mehr als acht Prozent wachsen. Berücksichtigt man aber, dass chinesische Banken im ersten Halbjahr 2009 neue Kredite vergeben haben, deren Höhe rund die Hälfte der im gleichen Zeitraum erzielten Wirtschaftsleistung ausmachte, reißt einen das BIP-Wachstum von 7,1 Prozent in der ersten Jahreshälfte nicht vom Hocker. Offenkundig wurde die Liquidität weniger von der Realwirtschaft absorbiert als vielmehr zu Spekulationszwecken genutzt und katapultierte die Preise für Aktien, Rohstoffe und Immobilien nach oben. […]

Allerdings sind angesichts der niedrigen Kapazitätsauslastung – ein Schicksal, das Deutschland mit vielen Ländern teilt – stetige Zuwächse bei der Auftragslage zwingend erforderlich, um den Einbruch auf dem Arbeitsmarkt so gering wie möglich zu halten. Schließlich haben die Unternehmen in der Krise intensiv auf das arbeitsmarktpolitische Instrument der Kurzarbeiterregelung zurückgegriffen, also die Beschäftigung nicht im Einklang mit ihrer Produktion zurückgeführt. Resultat ist ein starker Anstieg der Lohnstückkosten und damit eine Erosion der Unternehmensgewinne, die einige Firmen möglicherweise in den nächsten Monaten dazu veranlassen wird, schmerzhafte Sparpläne aufzulegen.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit dürfte sich als Hemmschuh für den privaten Konsum im Jahr 2010 erweisen, zumal die Abwrackprämie Ende 2009 ausläuft. Sie hat bisher einen stärkeren Absturz des privaten Verbrauchs in Deutschland verhindert.

Angesichts der desolaten Haushaltslage sind weitere fiskalpolitische Impulse, die den Konsum beleben könnten, kaum zu erwarten. Das Fazit zur Konjunktur muss deshalb lauten: Das Schlimmste ist vorüber – einen Grund für Euphorie gibt es aber nicht.