Aufgabenart:

Analysieren – Beschreiben – Beurteilen

Arbeitsaufträge:

  1. Analysieren Sie die Auffassung des Autors Uwe J. Heuser zur Bedeutung der Globalisierung für den Standort Deutschland! [AFB II]
  2. Beschreiben Sie die wichtigsten Standortfaktoren im Zeitalter der Globalisierung! [AFB I]
  3. Deutschland zählt seit langer Zeit zu den Hauptexporteuren weltweit, im Gütersektor ist die hiesige Industrieproduktion gar „Weltmeister“. Beurteilen Sie, wie gut der Standort Deutschland für den zukünftigen globalen Wettbewerb aufgestellt ist! [AFB III]

Textgrundlage:

Uwe J. Heuser: Schätze des Bazars. In: Die Zeit vom 14.04.05. (Auszug)

Der Autor, Uwe Jean Heuser, ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und Journalist. Er ist derzeit Wirtschaftsredakteur bei der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Text:

Uwe J. Heuser: Schätze des Bazars

Furcht treibt die Deutschen um, die Furcht vor der Globalisierung. Die Weltwirtschaft wächst zusammen, verwebt die nationalen Schicksale miteinander, und Deutschland verzagt: Was sollen wir ausrichten gegen billige Osteuropäer und noch billigere Chinesen, denen unser Sozialstaat und unser Umweltbewusstsein nichts bedeuten? Zur Resignation kommt die Aggression: Schuld haben das untreue, das unpatriotische Kapital und der aus Amerika importierte Neoliberalismus.

Wen interessiert es da noch, dass es ohne internationale Öffnung nach dem Krieg kein deutsches Wirtschaftswunder gegeben hätte? Damals flossen Investitionen in Richtung der arbeitsamen und erfinderischen Deutschen, und fallende Handelsschranken machten den Weg frei für den kommenden Exportweltmeister. Selbst dieser Titel zählt heute nichts mehr […]. Mit Wonne spielt Deutschland im Globalisierungsdrama die Opferrolle.

Bezeichnend ist die allergische Reaktion gegen osteuropäische Arbeitnehmer. […] Weil nun schon Zehntausende Billigarbeiter – als Selbständige getarnt – den Deutschen Jobs wegnehmen, sollen Mindestlöhne in Tarifverträgen festgesetzt werden. Wie üblich kommt die Abwehr spät und droht dafür über Ziel hinauszuschießen. […]

Die Deutschen sind begnadete Schwarzmaler. Die Globalisierung, so fürchtet die Mehrheit, frisst den Wohlstand der Masse auf und lässt nur die von Arbeit ausgehöhlten Konzernholdings zurück. […] Die Wirklichkeit sieht anders aus. Im Vergleich zu anderen großen Industrieländern liegt in Deutschland der Produktionsanteil sehr hoch. Die deutschen Exporteure lassen zwar immer mehr Komponenten im Ausland herstellen; aber diese Einfuhren werden durch die insgesamt steigenden Ausfuhren mehr als ausgeglichen. Wie sonst hätte die Fahrzeugindustrie seit Ende der neunziger Jahre noch rund zehn Prozent neue Arbeitsplätze schaffen können? Wie sonst könnte die Bundesrepublik, anders als die USA, mehr in Niedriglohnländer ausführen, als sie von dort importiert?

BMW hat Fabriken in den Vereinigten Staaten und China errichtet, um die dortigen Märkte zu erobern. Auch ein Teil der Entwickler sitzt in Übersee, damit der Konzern neue Impulse erhält. Und doch steigt die Zahl der Mitarbeiter in Deutschland – wie auch deren Gewinnbeteiligung. […]

Unternehmer sind nicht die edlen Ritter der Globalisierung. Zwar sichern manche Arbeitsplätze zu Hause, indem sie einfache Arbeiten ins Ausland verlagern. Andere aber schließen heimische Betriebe, wenn jenseits der Grenzen ein paar Euro mehr Gewinn winken. Oder sie nötigen ihren Mitarbeitern mit der Abwanderungsdrohung noch Zugeständnisse ab, obwohl die Bilanz auch so schon glänzt. Trotzdem lässt sich schwerlich argumentieren, die Globalisierer schadeten in der Summe ihrem Heimatland. Die meisten Studien bezeugen das Gegenteil, und vieles spricht dafür, dass noch zu wenige Unternehmen im Ausland wachsen und dadurch zu Hause prosperieren.

So bequem es wäre, die Globalisierung zum deutschen Problem zu erklären – sie ist es nicht. Oder jedenfalls muss sie es nicht sein. […]

[Die Politik müsste] ihrer so oft geäußerten Einsicht folgen, dass hohe Lohnnebenkosten viele Arbeitsplätze zerstören. Gefragt, wie man Stundenlöhne von 50 Cent unterbieten soll, könnte man verzweifeln. Tatsächlich aber sind die Löhne nur ein Teil des unternehmerischen Kalküls, und einer Umfrage von McKinsey zufolge hat die Mehrheit der Unternehmen bei Produktionsverlagerungen in den vergangenen drei Jahren nur zehn Prozent oder weniger gespart. Manche Verlagerung könnte verhindert, manche Investition gewonnen werden, wenn die Sozialkosten ein paar Prozentpunkte geringer wären.

Auch wenn die Globalisierung Wohlstand schafft, so doch bestimmt nicht für diejenigen, die ihren Arbeitsplatz einbüßen oder künftig für weniger Geld arbeiten müssen. Folglich sollte die Gesellschaft ihnen zumindest die Chance geben, ihren Wissensvorsprung vor ausländischen Jobkonkurrenten zurückzugewinnen.

Der Staat darf niemandem gegenüber [hörig] sein – auch nicht gegenüber der Industrie. […] Hilft [der Volkswirtschaft] der wahnsinnige Subventionswettlauf mit anderen Standorten? Wohl kaum. Aber es würde ihr sehr wohl helfen, wenn der Staat das geistige Eigentum der heimischen Firmen in der Welt verteidigte. […]

Die Alternative ist es, immer neue Barrieren gegen den Jobwettbewerb aufzubauen und Firmen für den Gang ins Ausland zu bestrafen. Wohlstand schafft man so nicht – und verteidigt ihn auf Dauer nicht einmal. Doch selbst wenn das gelänge, der Protektionismus der Reichen wäre unfair gegenüber den Ländern der Dritten Welt […]. Es hat etwas Perfides, Vietnamesen oder Inder, die für weniger als einen Dollar in der Stunde arbeiten, zu Opfern des globalen Kapitals zu erklären – um dann wieder ruhigen Gewissens die deutsche Klage anstimmen zu können.

Im Großen und Ganzen sind Markt und Moral hier auf einer Seite. Egoismus bedeutet nicht Protektionismus. […].