Aufgabenart:

Darstellen – Analysiere – Erläutere – Erörtere

Aufgabenstellung:

  1. Stelle das Leitbild der „Nachhaltigen Entwicklung“ strukturiert und ausführlich dar.
  2. (a) Analysieren Sie den vorliegenden Text in Hinblick auf die vom Autoren beigemessene Bedeutung der Millenniums-Entwicklungsziele.
    (b) Erläutern Sie dabei, was der Autor unter „Strukturelle[n] Fragen […] in den Programmen zur Umsetzung der MDGs“ versteht.
  3. Erörtern Sie, ob in den Entwicklungsländern Entwicklung durch mehr quantitatives Wachstum  erreicht werden kann. Beziehen Sie Ihre Ergebnisse aus den Aufgaben 2a und 2b mit ein. (Unter quantitatives Wachstum ist zu verstehen: Quantitatives Wachstum als langfristige Entwicklung des BIP durch die Entwicklung des Produktionspotentials)

Textgrundlage:

Jens Martens: Sind die Millenniumsziele noch zu retten? Veröffentlicht am 15.9.08 unter:

http://www.boell.de/internationalepolitik/entwicklung/entwicklungspolitik-4829.html (Internetpräsenz der Heinrich-Böll-Stiftung)

Text:

Sind die Millenniumsziele [MDG] noch zu retten

„The developing world is poorer than we thought“, räumen die Weltbank-Ökonomen Chen und Ravallion in einem Aufsehen erregenden Arbeitspapier ein, das alle bisherigen Armutsstatistiken über den Haufen wirft. Die Weltbank hatte nachgerechnet und festgestellt, dass über 400 Millionen Menschen mehr als bisher angenommen in extremer Armut leben. Sie gestanden ein, dass die bisherige Armutsschwelle von einem Dollar pro Tag viel zu niedrig angesetzt war und selbst in den ärmsten Ländern der Welt bei durchschnittlich 1,25 Dollar […] läge. […]

Die Weltbank veröffentlichte die neuen Zahlen kurz vor dem „MDG-Notstandsgipfel“, zu dem der britische Premier Gordon Brown im vergangenen Jahr aufgerufen hatte […] – offiziell deklariert als „High-level Event on the MDGs“. Die neuen Zahlen bekräftigen den Tenor vieler MDG-Halbzeitbilanzen, dass die meisten Länder bei der Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele „off-track“seien.

Das MDG-Projekt ist in der Krise. Es stellt sich die Frage, wie die entwicklungspolitischen Weichen gestellt werden müssen, um es bis zum Jahr 2015 wieder “back on track” zu bringen […].

Die MDGs haben in erster Linie die Funktion, die Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit auf die gravierendsten Probleme von Armut und sozialer Unterversorgung zu lenken und durch ihre Messbarkeit den Erwartungsdruck gegenüber den Regierungen zu erhöhen. Diese Funktion haben sie in den vergangenen acht Jahren erfüllt. Die MDGs haben sich als gleichermaßen öffentlichkeitswirksames wie kampagnentaugliches Instrument erwiesen und eine beachtliche politische Mobilisierungswirkung entfaltet.

Die bisherigen Resultate zeigen jedoch, dass die Regierungen darauf nicht mit den erforderlichen politischen Maßnahmen reagiert haben. Die Regierungen des Nordens waren bislang weder zu substanziellen Zugeständnissen in der internationalen Handelspolitik bereit, noch haben sie ihren Anteil an den notwendigen finanziellen Ressourcen […] bereitgestellt. Die Regierungen vieler Entwicklungsländer haben allzu oft ihre Politik nicht konsequent auf die Bekämpfung der Armut, die Überwindung sozialer Disparitäten im eigenen Land und die Mobilisierung heimischer Ressourcen ausgerichtet.

Die Konzentration entwicklungspolitischer Strategien auf die MDGs birgt allerdings auch die Gefahr, dass die Politik lediglich an den Symptomen „herumdoktert“ […]. Wenn Armut in erster Linie als Einkommensarmut begriffen wird, konzentrieren sich auch die Lösungsvorschläge zur Reduzierung der Armut auf die monetäre Ebene. Strukturelle Fragen […] blieben in den Programmen zur Umsetzung der MDGs dagegen bislang unterbelichtet. Dies gilt auch für ökologische Aspekte, insbesondere die Folgen des Klimawandels. Eine lückenhafte Problemdiagnose kann aber zu falschen Politikrezepten führen und die dauerhafte Lösung der Probleme eher behindern.

In der zweiten Halbzeit des MDG-Prozesses bis zum Jahr 2015 sollten sich die Regierungen daher sowohl mit den Defiziten in der bisherigen Umsetzung und der Methodik der Millenniumsziele befassen als auch die Politikrezepte für ihre Verwirklichung grundsätzlich überprüfen. […]

Die MDGs sind nur die Spitze des Eisbergs politischer Verpflichtungen, die die Regierungen mit den Beschlüssen der Weltkonferenzen der vergangenen zwei Dekaden und der Millenniumserklärung aus dem Jahr 2000 eingegangen sind. Die Praxis in den Vereinten Nationen, die MDGs immer in einem Atemzug mit den international vereinbarten Entwicklungszielen (Internationally Agreed Developoment Goals, IADGs) zu nennen und sie als Bestandteil dieser Ziele zu begreifen, sollte beibehalten werden. […]

Die Regierungen müssen das Ungleichgewicht im Grad der Verbindlichkeit der MDGs für Industrie- und Entwicklungsländer überwinden. Das bedeutet, den Beitrag der Industrieländer in Form von klaren quantitativen, zeitgebundenen und damit überprüfbaren Verpflichtungen zu definieren. Zu diesem Zweck sollten insbesondere das siebente und achte Millenniumsziel erweitert und konkretisiert werden. […] Verbindliche Verpflichtungen des Nordens hinsichtlich der Quantität der ODA reichen aber bei Weitem nicht aus. Im Rahmen der Pariser Erklärung und der Aktionsagenda von Accra (Accra Agenda for Action) sind die Regierungen daher auch Verpflichtungen zur Erhöhung der Qualität der Entwicklungszusammenarbeit eingegangen. In zentralen Bereichen wie der Beseitigung von Lieferbindungen, der Abschaffung politischer Konditionalitäten und der Stärkung von demokratischer Eigenverantwortung (democratic ownership) blieben die Verpflichtungen bisher jedoch vage. […]

Die jüngste Revision der Armutsstatistiken durch die Weltbank hat deutlich gemacht, wie problematisch ein „One Size Fits All“-Ansatz bei der Armutsmessung ist. Ein weltweit einheitliches Armutsmaß wird der Situation in vielen Ländern nicht gerecht. Aus diesem Grund sollte selbstbestimmten nationalen Entwicklungszielen und den dazugehörigen Strategien, die dem jeweiligen Entwicklungsstand der Länder angepasst sind, Vorrang eingeräumt werden. Die meisten Länder haben mittlerweile nationale und zum Teil sogar subnationale Armutsschwellen definiert. […]

Während es im entwicklungspolitischen Diskurs über die Zielvorgaben der MDGs kaum grundsätzliche Kontroversen gibt, sind die Wege, auf denen die Ziele erreicht werden sollen, äußerst umstritten. Die vordergründige Harmonie über die Ziele verschleiert zuweilen die gravierenden politischen Meinungsverschiedenheiten über die Strategien, mit denen die MDGs erreicht werden sollen. […] Anstelle technokratischer Problemlösungsstrategien sollten stattdessen die kulturellen, sozialen und geographischen Besonderheiten jedes Landes bei der Formulierung seiner Entwicklungsstrategie stärker berücksichtigt werden. […]

Die MDGs ersetzen keine Entwicklungsstrategie. Dies hat auch der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon 2007 festgestellt: „The focus on specific dimensions of development, as encompassed in the MDGs, should not detract from the fact that development is a multifaceted and wide-ranging process in which the different elements are interlinked and mutually reinforcing. Successful development therefore requires the integration of the economic and social dimensions but it also calls for consideration of environmental sustainability and the political and human rights dimensions.“

Der entwicklungspolitische Diskurs sollte sich daher – ganz im Sinne Ban Ki-moons – auf umfassendere Strategien nachhaltiger menschlicher Entwicklung rückbesinnen und die MDGs als öffentlichkeitswirksames Element in diese Strategien einbetten. Dies bedeutet auch, die bisher im MDG-Kontext unterbelichteten strukturellen Armutsursachen stärker im MDG-Diskurs zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für die wachsenden Einkommensdisparitäten innerhalb und zwischen den Ländern, ihre Verwundbarkeit gegenüber Krisen auf den internationalen Finanzmärkten sowie die sozioökonomischen Folgen des Klimawandels in den Ländern des Südens.

Zur Person: Der Autor ist diplomierter Volkswirt und Leiter des Europa-Büros des Global Policy Forum. Daneben war er von 2003 bis 2009 Mitglied im deutschen und internationalen Koordinierungsausschuss von Social Watch, einem Netzwerk von über 400 Gruppen und NGOs, die sich mich Fragen sozialer Entwicklung befassen.